Das Rubaiyat des Omar Khaijam

Das Rubaiyat des Omar Khaijam. Von Hermann von zur Mühlen
In: Westermanns Monatshefte, Juni, 1928. Pp. 365-369

Ich selbst voll Eifer, als ich jung noch war,
Den Weisen lauscht ‘ ich und der Lehrer Schar –
Trotz aller Argumente ging ich stets
So klug, als wie ich eingetreten war.

Das Korn der Weisheit sät’ ich selber auch,
Den Acker pflügt ich nach der Väter Brauch,
Doch meine ganze Ernte ward das Wort:
Du kamst — ein Nebel, und du gehst — ein Hauch.

Was Weise uns und Fromme offenbart,
Die eifrig wirkten nach Prophetenart
Nur Träume sind’s, die sie vom Traum erwacht,.
Vor neuem Traum gemurmelt in den Bart.

Den Weinkrug warfst du um mitsamt dem Wein mir, Gott,
Versiegen ließest du der Freuden Quell zum Spott,
Im gelben Sand verrinnt der Traube edles Naß –
Du torkeltest wohl selbst einher in trunknem Trott.

Wer von uns ist, der stets die Sünde mied – o sagt’s!
Der ab vom Pfad der Tugend nie geriet – o sagt’s!
Wenn schlecht ich handelte und du rachsüchtig strafst,
Wo ist dann zwischen dir und mir der Unter schied – o sagt’s!

Ein Baum, der seine Blüten niederstreut,
Daran das Herz der Freunde sich erfreut,
Er wachse an der Stätte, wo ich ruh’,
Daß keinen je der Weg zu mir gereut.

Die Hand des jungen Morgens warf den Stein,
Davor die Sterne fliehn,erblaßt ihr Schein
Des Ostens Jäger fing des Sultans Schloß
Im Netz aus rosenroten Maschen ein.

Doch schon beim ersten fahlen Dämmrungsschein
Klang aus der Schenke mir der Ruf »Tritt ein!
Was zögerst du? Schon steht der Trank bereit,
Wir wollen ihn dem frühen Lichte weih’n.«

Das Tor springt auf. Es tönt ein Hahnenschrei,
Schlaftrunkne Gäste eilten wir herbei,
Kurz ist die Frist nur, die uns hier vergönnt,
Kein Morgen graut mehr, schwand sie erst vorbei.

Verstummt ist Davids Mund. Doch süßer Schall
Tönt stets noch aus dem Lied der Nachtigall
Sie singt von Liebe und sie singt vom Wein,
Daß rot erglühn die blaßen Rosen all.

Die Becher füllt! Werft in die Scheiterglut
Des Frühlings eures Winters Sorgenmut!
Denn furz nur ist der Weg des Vögleins »Zeit«,
Schon schwirrt’s dahin im Flug, der nimmer ruht.

Im Grase, das den Rand der Wüste deckt,
Lieg ‘ ich getrost, in Ruh’ dahingestreckt,
Vergessen ist des Sultans Mahmud Glanz,
Vergessen, was sein goldner Thron bezweckt.

Ein Liederbuch! Zur Stütze dient es mir.
Ein Becher Wein, ein Brot — allein mit dir
Wenn süßer Sang von deinen Lippen tönt,
So wird zum Paradies die Wüste hier.

Ob goldne Schätze gierig ihr gehäuft,
Ob ihr verstreut sie, wie der Regen träuft
Gleich nichtig seid ihr, wurdet ihr erst Staub,
Drobhin der Fuß des flücht’gen Schakals läuft.

Ach, nirgends blüht die Rose halb so gut
Mir däucht’s — als dort, wo tief ein Cäsar ruht,
Die Hyazinthe duftet süßer nie
Als wo ein Herz gebrannt in Liebesglut.

Das zarte junge Grün am Bachesrand
Das grünt und sprießt — oh fühlt’s mit weicher Hand
Betretet es behutsam – wißt ihr denn
Aus weßen roten Lippen es entstand ?

In diese Welt, der Schatten schwankes Meer,
Wir treten ein wer sagt weshalb woher,
Wir schwinden hin, daß uns der Wind verstreut,
Wohin enteilen wir wer sagt’s uns, wer?

Man zwingt uns in dies Dasein ungefragt,
Bis man uns ungehört ins Nichts verjagt –
Wie vieler Becher starken Weins bedarf’s,
Um zu vergeßen, was man mit uns wagt!

Sein heimlich Walten ist der Schöpfung Blut,
Durchdringt das Ganze wie Quecksilberflut,
Nimmt jegliche Gestalt an Fisch und Mond,
Und alles schwindet – ER nur bleibt und ruht.

Ein Schattenspiel nur sind wir anzusehn,
Wie Schatten magiſch kommen wir und gehn,
Die Sonne liefert das Laternenlicht,
Der Herr der Welt läßt alles fein sich drehn.

Tag ist und Nacht sein Schachbrett, hin und her
Schiebt er die Steine hilflos, kreuz und quer,
Bestimmt das Spiel und bietet Schach und schlägt
Und wirft zuletzt uns in die Kiste – ER.

Oh, fürchte nicht daß,schwindet erst dein Sein,
Niemals ein gleiches je sich stelle ein,
Aus ew’gem Most gärt’s noch millionenfach
Gleich mir und dir und wird zu neuem Wein.

Wenn tiefe Schleier einstmals uns umfahn,
Die Welt wie lang noch läuft sie ihre Bahn,
Nichts ist ihr unser Kommen, unser Gehn,
Wie nichts ein Steinwurf ist dem Ozean.

Wie seltsam, daß von allen, die zuvor
Geschritten durch der Schatten dunkles Tor,
Nicht einer kehrte, der uns Kunde gab,
Vom Wege, der uns allen steht bevor.

Die Weisen und die Heil’gen all im Bund,
Die Kundschaft lehrten auf dem Erdenrund,
Sie wurden Staub, den falschen Pred’gern gleich,
Staub unter Staub, und Staub füllt ihren Mund.

Der Lehm, draus Adam einst geschaffen ward,
Bestimmte auch des letzten Menschen Art,
Der Schöpfung erster Morgen schrieb die Schrift,
Die uns der jüngste Tag einst offenbart.

Mit Schlingen und mit Gruben reich versehn
Hat ER den Pfad, auf dem wir strauchelnd gehn,
Warf er sein Nek nur aus, daß es uns fängt,
Daß wir zerknirscht vor ihm als Sünder stehn?

Verlangt er wirklich von der Kreatur
Die Schuld in Gold und gab einst Blei ihr nur,
Besteht er drauf daß sie den Wechsel zahlt,
Dem ihrer Unterschrift fehlt jede Spur?

Rief er uns darum zu dem Sein bewußt
Einst aus dem Nichts, damit verbotne Lust
Wir kosten und verfallen ew’ger Pein,
Da wir gesündigt, weil wir’s so gemußt?

Ja, aus dem Schuldbuch tilgt ein Engel mild
Einst einen jeden Posten, Nichts mehr gilt
Des strengen Richters Spruch, und ihm entfällt
Die Feder vor des Retters blankem Schild.

Der Liebe Hand wird dann der Welten Gang
Befrein und läutern von dem wirren Zwang,
Zerschmettern jeden Trug und spenden uns
All das, was unser Herz ersehnt so lang.

Und wenn der Engel mit dem dunklen Trank
Am Strom des Lebens, auf der schatt’gen Bank
Dir reicht den Trunk, daraus du trinken sollst,
O zittre nicht. Ergreif ihn frei und frank.

Weil deine Seele kraftvoll es vermag
Die Hülle abzustreifen und zum Tag
Frei aufzuschweben wär’s verächtlich nicht
Sich an dies Sein zu klammern wenn’s zerbrach ?

Hienieden wird dereinst das Mondenlicht
Sich oft noch neu’n, und wenn es Zauber flicht
Um Baum und Strauch und silbern glänzt im See,
Wird es euch alle finden mich nur nicht.

Wenn du, der Mond in der Gestirne Schar,
Dich nahst, und wenn dein dunkles Augenpaar
Die Statt erblickt, wo tief ich unten ruh’,
So grüß’ die Erd’, sie ist was einst ich war.

Ihr aber, Freunde, schreitet ihr fürbaß,
Und euer Fuß streift meines Grabes Gras,
Das mir entſproß, leert einen Becher Wein
Und wendet dann mir zu das leere Glas.

Oh, sprach ein andrer, alt und dürr ich ward,
Weil längst kein Wein mich füllt, nach Krugesart,
Schenkt ein in mich mein altgewohntes Naß,
Dann sollt ihr sehn, daß ich mich jung bewahrt.

So führten sie der krausen Reden viel,
Indes des Mondes Licht durchs Fenster fiel,
Da stießen sie sich:an »Freund, bald geht’s fort,
Nicht strauchle, der uns trägt, ‘eh wir am Ziel.«

Wie oft ward ich verleumdet, weil ich mied
Die Götter, die man an als heilig sieht,
Weil nach Genuß ich strebte, nicht nach Ruhm,
Und meinen Ruf verkaufte um ein Lied.

Wie oft, wie oft zerknirscht ich Reue schwur,
Dann aber kam der Frühling durch die Flur,
Im Haar den Kranz von Rosen, und es schwand
Die bittre Reue ohne jede Spur.