8 Epigramme. Herman Ethé
In: Die mystische, didaktische und lyrische Poesie und das spätere Schriftthum der Perser. Hamburg : Richter, 1888.
Nicht das Morgen ist’s, das hülfreich deinem Heute Glück beschert,
Durch das Grübeln um das Morgen wird die Galle nur genährt ;
Lass nicht unbenutzt das Heute, ist dein Herz nicht ganz verkehrt.
Denn was sonst noch bleibt vom Leben ist nicht einen Heller wert.
Weh’ dem Herzen, doppelt wehe, das in Flammen nie entbrannt,
Nie der Herz-Entzünd’rin Liebe heisse Leidenschaft empfand ;
So verloren ist kein Tag wohl, als der eine letzte dir,
Da du scheiden musst von hinnen und nicht fühlst der Liebe Hand.
Ach, wie schön, wenn Neujarslüfte Rosen wehn um’s Angesicht,
Ach wie schön, wenn süsse Wangen des Jasmines Blut’ umflicht !
Doch gefallen will mir’s nimmer, sprichst du von Vergangnem mir.
Fröhlich sei und lass das Gestern — strahlt das Heut doch hell und licht !
Zum Beginn gleich wollt’ ergründen, strebend über Himmel fort,
Tafel, Schreibrohr, Paradies ich und der Hölle Marterort.
Da mit wohlverständ’gem Sinne sprach mein Meister dieses Wort :
Rohr und Tafel, Hull und Eden — sie sind iu dir, such’ sie dort !
Dann erst, wenn des Atmens ledig, du beginnst die VVanderschaft,
Schaust du die Mysterien Gottes frei von jeders Schleiers Haft.
Nicht, von wannen du gekommen, vveisst du — sei drum frohgelaunt ;
Nicht, wohin du gehn wirst, weisst du — schlürfe drum den Rebensaft !
Pfeilschnell, wie der Sturm durch’s Blachfeld, pfeil- schnell wie im Strom die Wogen,
Ist der Lebenstage einer wieder mir dahingezogen.
Aber um zwei Tage dennoch hab’ ich nie des Grams gepflogen,
Um den Tag, der fern noch weilet, und um den, der schon verflogen.
Weil du viel gesündigt, ‘Omar, giebst du solchem Leid dich hin ?
Immerdar am Grame zehren, bringt dir das wohl je Gewinn ?
Wer sich nie der ,Sünd’ beflissen, dem wird Gnade nie zu teil,
Gnade folgt allein der Sünde, hat dein Grämen also Sinn ?
Wein — der flüssige Rubin ist’s, und der Humpen ist sein Schacht,
Körper ist des Bechers Höhlung, drin sein Saft als Seele wacht ;
Und das Glas dort das krystall’ne, das vom Trunke rosig lacht,
Eine Träne ist’s, drin Herzblut niederträufelt heimlich sacht.