Omar Chijâm. E.A. Wollheim de Fonseca
In: Die National-Literatur sämtlicher Völker des Orients. Eine prosaische und poetische Anthologie von A.E. Wollheim. Berlin, Chevalier da Fonseca, 1873. Vol. II, pp. 206-209.
Ein Zauberruf aus unser’m Weinhaus scholl:
Auf Schlemmer! Schwärmer! seyd vom Wein Ihr toll ?
Erwacht! lasst uns das Mass der Becher füllen,
Bevor noch unser eignes Mass ist voll!
O Du, vor allen Erdbewohnern auserlesen,
Bist werter mir als Aug’ und Seel’gewesen!
Zwar Herrlich’res nicht als das Leben gibt’s,
Doch Du bist’s hundertfach, geliebtes Wesen!
Wer führte Dich zu uns berauscht heut Nacht ?
Wer hat entschleiert Dich hierher gebracht?
Hat ihm, der fern von Dit im Feuer brannte,
Dich Jemand zugeführt wie Sturmesmacht?
Die Zeit ist nur ein kurz Karwânserai,
Versuchung sint und Kummer stets dabei;
Nicht ward der Rätsel Lösung uns gegeben;
Wir gehen – im Herzen Sorgen vielerlei.
Erfüll’ ein wünschend Wort das uns entfuhr,
Sonst schweig’ und lass’ uns ziehn auf Gottes Spur;
Wir geh’n grad, doch Deine Blicke schielen
D’rum heil’ Dein Augenpar, und lass’ uns nur!
Auf! komm! das Herz zu stillen, magst Du sagen
Die Lösung einer nur der Ratselfragen!
Sonst bring’ zum Trunk uns einen krug mit Wein,
Eh Krüg’ aus unsem Staub zu drehn sie wagen.
Wenn ich gestorben bin, wascht mich mit Wein
Von Wein und Kelch singt mir in’s Grab hinein.
Und wollt Ihr mich zum Auferstehungstage,
So sucht im Staub der Schenke mein Gebein !
Die Bürgschaft leistet Niemand für das Morgen,
Befrei’ Dein Herz darum von schwarzen Sorgen !
Leer’, Mond, den Glanzkelch d’rum ! Nie sieht der Mond
Und mehr, ob er nun scheint, ob er verborgen.
Der Liebende sei trunken stets und toll,
Von Wahnwitz sei er und von Schande voll !
Bei klarem Sinn geniessen wir nur Kummer;
Sind wir berauscht, dann komm’, was kommen soll !
So viel will Wein ich trinken, dass sein Duft,
Werd’ ich zu Staub, vom Staub steigt in die Luft,
Und dass vom Weindunst tiefberauscht, die Trunknen
Auf meinem Staub tot sinken in die Gruft.
Erstrebst Du etwas, suche einen Nützer,
Bist im Besitz Du, suche einen Schützer
Ein Herz wiegt hundert Lehm- und Wasserkàba’s,
Was soll die Kâba? such’ ein Herz als Stützer !
Ich, Sänger, Wein der wüste Raum — Gewand,
Pokal, Herz, Seel’ weihn wir dem Wein als Pfand;
Der Gnadenhoffnung und der Straffurcht ledig,
Was sind uns Erde, Wasser, Wind und Brand ?
Ein, zwei, drei Tage — und das Leihen flieht,
Dem Winde gleich, der durch die Wüste zieht.
Weg, Gram ! Zwei Tage ja geniess’ ich nimmer:
Den der entflohn, und den man noch nicht sieht !
Da meiner Jugend noch das Heut geweiht ist,
Trink’ Wein ich, weil das meine Seligkeit ist ;
Gut ist er, ob Ihr ihn gleich herbe schimpft.
“Herb ” nur, weil er wie meine Lebenszeit ist.
Der Krug hier ist, gleich mir, in Liebe bangend,
Nach einer Schönen Locken heiss verlangend ;
Der Henkel, den an seinem Hals Du schaust,
Ist eine Hand, der Freundinn Hals umfangend.
Wer einem Becher schöne Form verlieh
Ihn zu zerbrechen wünschet er wol nie ; —
So schöne Häupter. Beine, Füss’ und Hände,
Wess Liebe schuf, wess Hass zerstörte sie .”
Lenztulpengleich greif’ zum Pokal geschwind,
Kredenzt ihn Dir ein tulpenwangig Kind ;
Trink fröhlich Wein! denn dieser blaue Himmel
Kann plötzlich Dich hinschmettern, wie ein Wind.