Strophen aus FitzGerald’s Omar Nachdichtung

Strophen aus FitzGerald’s Omar Nachdichtung. Gustav Keyssner
In: Süddeutsche Monatshefte, Juni, 1911. Pp. 698-710

Wach auf! Hörst du des Morgens Kampfruf nicht,
Vor dem in Schreck vergeht der Sterne Licht?
Und schon wirft um die Höhn sein goldnes Netz
Der Jäger, der hervor aus Osten bricht.

Das junge Jahr weckt alter Sehnsucht Schmerz:
Da suchen wir die Einsamkeit, O Herz,
Wo Jesu Atem weht und Blütenschnee
Gleich Mosis Antlitz leuchtet himmelwärts.

Die Rosenpracht Irams versank im Sand,
Und Dschemschids Kelch — wer weiß wohin? entschwand.
Doch glüht der Wein, wie einst, Rubinen gleich.
Und Gärten blühn, wie einst, an Flusses Rand.

Den Becher füllt! und in des Frühlings Brand
Verbrennt der Reue winterlich Gewand!
Der Vogel ‘Zeit’ stiegt, ach, nur Kurzen Weg
Und hat zum Flug die Schwingen schon gespannt.

Der Frühlingswind, der neue Blüten weckt, —
Wie mit den welken er den Rasen deckt!
Und dieser Monat, der die Rose bringt,
Hat Dschemschids Reich und Ruhm in Staub gestreckt.

Die Au’n, die Wüstenei und Saatland trennen,
Durchstreise froh mit mir! Du wirst’s erkennen
Hier, wo man Sultan nicht, noch Sklaven Kennt:
Ein Tor nur Kann den Sultan glücklich nennen.

Ein Krug voll Kühlen Weines, und dazu
Ein Laibchen Brot, ein Liederbuch — und du.
Ein Lied mir singend in der Wildnis hier:
So wird die Wildnis mir wie Edens Ruh’.

Sieh, Freund, die Rose dort im Gartenhag!
„In Freuden”, sagt sie, „blüh’ ich meinen Tag
Und klage nicht, daß meine volle Pracht
Der nächste Windhauch schon entblättern mag!”

Das irdische Glück, das sich der Mensch ersteht.
Zerstiebt im Nu; wenn’s länger je besteht,
Gleicht’s nur dem Schnee, der auf der Wüste Grau
Ein Stündlein glänzt, auch zwei — und dann vergeht.

Häuft nur das Gold als heiß erkämpften Raub!
Verstreut es in den Wind wie welkes Laub!
Der Reichste wird im Tode Staub, nicht Gold,
Und nicht des Ärmsten Neid mehr weckt sein Staub.

Zwei Tore hat dies alte Herbergshaus:
Durchs Tor des Tages zog zu Rast und Schmaus
Ein Sultan nach dem andern prunkend ein,
Durchs Tor der Nacht dann, o wie bald, hinaus!

Von Schlang’ und Leu ist heut das Schloß bewohnt.
Wo Dschemschid einst in Glanz und Lust gethront.
Und ruhig graset nun das scheue Wild
Am Grab Bahrams, der einst Kein Wild verschont.

Die Rose, mein’ ich, muß in tiefster Glut
Erblühn aus eines toten Herrschers Blut
Und dort die Hyazinth’ am schönsten, wo
Ein schönes Haupt im Schoß der Erde ruht,

Und dieses Gras, das weich und dicht umschließt
Den klaren Bach, der uns zu Füßen fließt —
Sanft lehne dich darauf! wir wissen nicht,
Aus welch einst holdem Leib vielleicht es sprießt.

Im Weine bad’ ich mir die Seele klar
Vom Gram um das, was sein wird und was war.
Was ‘morgen?’ Sterb’ ich morgen, ist es so,
Als sei ich tot schon siebentausend Iahr.

Ach, die wir liebten, die Bewährten, Besten
Der auf des Schicksals Kelter Ausgepreßten,
Sie tranken eine Runde früher aus
Und ruhen still nun von des Lebens Festen.

Und wir, die an der Statt, geräumt von ihnen.
Uns noch des Sommers freun, der uns erschienen.
Bald suchen wir auch in der Erde Schoß
Die Ruhstatt — um als Ruhstatt wem zu dienen?

Was wir vollbringen möchten, rasch geschehn
Muß alles, eh’ auch wir zur Ruhe gehn.
Denn ruhn wir Staub bei Staub erst, bleibt uns nichts:
Kein Wein, Kein Lied, kein Freund – Kein Auferstehn.

Horch! eine Stimme ruft vom Minaret:
„Ihr, die ihr alles Heil im Heute fehl,
Und ihr, nur auf ein fernes Einst bedacht,
O, wie ihr beide in die Irre geht!”

Die Weisen, Heiligen, die einst der Kunde
Sich rühmten von des Lebens Ziel und Grunde —
Vorbei ihr Glanz! Wie Spreu verflog ihr Wort,
Und Staub nur führen heut sie noch im Munde.

Komm! laß den Weisen: was er spricht, ist leer.
Eins ist gewiß: das Leben eilt gar sehr.
Eins ist gewiß und alles andre Trug:
Die Blume, die verblüht ist, blüht nie mehr.

In meiner Jugend trieb mich für und für
Zu heiligen Lehrern meine Wißbegier.
Viel hohe Dinge hört’ ich — doch hinaus
Trat, wie hinein, ich durch die selbe Tür.

Des Wissens Saat bestellt’ ich, fast noch Kind,
Und wartet’ ihrer, rastlos, treu gesinnt.
Und meine ganze Ernte ist nun dies:
„Ich Kam wie Wasser, gehe gleich dem Wind.”

Es schwang sich durch der sieben Himmel Tor
Mein Geist bis auf den Thron Saturns empor;
Und manche Rätsel löst’ ich, doch es blieben
Mir Tod und Schicksal Rätsel wie zuvor.

Da war ein Tor, das mir kein Schlüssel zwang;
Ein Schleier, den mein Auge nicht durchdrang;
Ein Kurz Geraun’, es klang wie ‘Ich’ und ,Du’ —
Und nichts mehr dann wie ‘Du’ und ‘Ich’ erklang.

Da ries ich fragend auf zum Himmelsthron:
„Welch Licht gibst du dem armen Erdensohn
Zum Führer durch der Irrfahrt dunkle Nacht?”
„Ein blind Erkennen!” klang’s zurück voll Hohn.

Dann, als ich meines Bechers tönem Rund
Nach Antwort dürstend setzte an den Mund,
Hört’ ich ihn murmeln: „Trink, so lang du lebst!
Nie Kehrst du wieder aus des Grabes Grund!”

Mich dünkt, der Ton, aus dem dies Wort erklang.
War einstens wohl — verstummt seitdem wie lang ! –
Ein Mund, der lacht’ und trank und Küsse gab
Und Küsse nahm in heißem Lebensdrang.

Denn einen Töpfer hab’ ich jüngst gesehn
Noch Kurz vor Nacht in seiner Werkstatt stehn.
Und wie den Ton er eisrig Knetend schlug —
„Sacht, Bruder, sacht!” hört’ ich den Ton da flehn.

In Nacht und Wüste nur ein flüchtiges Hell
Gönnt dir, zu trinken von des Lebens Quell . . .
Die Sterne schwinden, und die Karawane
Zieht fort ins graue Nichts — trink schnell, o schnell !

Ihr Freunde wißt, wie ich vor langer Zeit
Ein neues Lieb beim Becherklang gefreit:
Vernunft, die dürre Alte, jagt’ ich fort
Und nahm zum Weib die holde Trunkenheit.

Ich sprengte Kühn der Lebensrätsel Schrein,
Vermaß mit Zirkel, Schnur und Lot das Sein;
Von allem doch, was immer ich durchsorscht,
Taucht’ ich in nichts so tief wie in den Wein.

Jüngst, als im Abendgrau»n ich sinnend stand.
Erschien ein Engel mir im Lichtgewand,
Ein voll Gefäß mir bietend, das er trug —
Und Wein war’s, was mir reichte seine Hand!

O Wein, du Prediger, dessen Geistesmacht
Den Aufruhr stillt, den Sektenzank entfacht!
Du Alchemlst, des Lebens trübes Blei
Verwandelnd in des Goldes heitre Pracht!

Wein! großer Mahmud, glück’ und siegbewehrt!
Den schlimmen Feind, so uns am Marke zehrt,
Der Sorgen und der Zweisel dunkle Schar
Trifft und vertilgt dein blankes Zauberschwert.

Indes am Strom die Rosendüfte ziehn,
Freu’ mit Khajjam dich an des Weins Rubin!
Und naht der Engel einst und reicht im Kelch
Den dunklem Trank dir — furchtlos trink auch ihn.

Kein ‘Ja’ noch ‘Nein’ gibt’s für den Ball im Flug;
Er stiegt so, wie des Spielers Hand ihn schlug.
Und Er, der dich ins Feld des Daseins warf.
Weiß alles — er, er weiß! Das ist genug.

Rasch gleitend schreibt die Hand und gleitet fort,
Doch was sie schrieb, das steht für immer dort;
Kein Anschlag, kein Gebet zwingt sie zurück.
Kein Tränenstrom löscht nur ein einzig Wort.

Was rufst dem Himmel du dein Flehen zu —
Dem hohlen Rund, hinrollend ohne Ruh
Ob unsrer Lebensaual und Todespein?
Ohnmächtig ist er, Tor, wie ich und du.

Der Kaum erschaffnen Erde frischem Ton
Entnommen ward der letzte Menschensohn,
Und was der Richter liest am jüngsten Tag,
Geschrieben ward’s am Schöpsungsmorgen schon.

Als aus der Schöpsungsgluten flüssigem Golde
Der werdenden Stern’ und Tonnen Strom entrollte.
Schlug Wurzel schon die Reb’ in dem Gemisch
Von Seel’ und Staub, das Ich einst werden sollte.

Drum bleib’ ich, trotz euch Frömmlern, treu dem Wein,
Und aus dem armen Erz, der Seele mein,
Schmied’ ich den Schlüssel mir zur Tür des Heils,
Die nie sich öffnet euren Litanei’n.

Ob mich das wahre Licht, das ich verehre,
In Lieb’ entflamme, ob in Zorn verzehre —
Im Rausch noch bin ich näher feiner Huld,
Als im Gebet des Heuchlers Herz, das leere.

Du hast des Menschen Pfad durch diese Welt
Mit Schlingen und mit Gruben eng umstellt
Vorausbestimmt hast du ihm jeden Schritt:
Wirst du es Sünde nennen, wenn er fällt?

Du, der aus schlechtem Ton uns werden ließ
Und Adam schon versucht’ im Paradies!
Ward Sündigen nun der Menschen schnödes Erbe,
Vergib’s — und dir vergeben mögen sie’s.

Hört mir noch einmal zu! Vor Neumondschein
Am Schluß des Ramazan stand ich allein
In jenes alten Töpfers Werkstatt; rings
Umgaben Krüg’ und Schalen mich in Rei’n.

Und seltsam war’s: der Tongeschöpfe Heer
Hub an zu sprechen — diese leicht, die schwer — ,
Und einer plötzlich rief voll Ungeduld:
„Wer ist der Krug, sagt! und der Töpfer — wer?”

Ein zweiter sprach: „Die Hoffnung mag mir frommen:
Umsonst nicht ward mein Ton der Erdé entnommen.
Und nicht wird in den Boden Er zurück
Mich stampfen, der mich formte so vollkommen!”

Ein dritter: „Schont des Trunknen Übermut
Die Schale doch, draus er sich gütlich tut!
Und Er, der uns in Schöpferliebesdrang
Gesormt, zerschlüg’ uns dann in blinder Wut?”

Drauf schwiegen alle. Dann rief von der Wand
Ein plumper Krug, der angelehnt dort stand:
„Sie spotten, weil ich schief bin . . . War vielleicht.
Als Er mich dreht’, unsicher Seine Hand?”

Ein andrer nun: „Man sagt: ,seid auf der Hut!
Ein schlimmer Schenke, rot von Höllenglut,
Wird euch mit Faustschlag prüfen» — Glaubt es nicht!
Nein, gut ist Er, und einst wird alles gut!”

Und seufzend nahm noch einer dann das Wort:
„Ach, man vergaß mich, und mein Ton verdorrt!
Doch füllte wer mich mit dem trauten Naß,
Aufleben würd’ ich, glaubt es mir, sofort.”

Als noch folch Flüstern ging durch ihre Reih’n,
Traf einen des ersehnten Neumonds Schein.
Da raunten alle freudig: „Brüder, seht!
Das Fest ist da! schon weht ein Duft von Wein!”

Mein schwindend Leben, labt es noch mit Wein,
Den Leichnam wascht mit Wein, statt Spezerei’n,
Aus Weinlaub stechtet mir ein Totenhemd
Und macht mein Trab an blühendem Gartenrain!

Dann wird aus meiner Asche noch ein Duft
Von Wein aufsteigen, hangend in der Luft
Als Fallstrick, drin sich rettungslos verfängt
Der Fromme, der zu nah kommt meiner Gruft.

Bei denen ich so lang gesucht mein Heil,
Die Götzen ließen mir ein schlimmes Teil;
Denn meine Ehre ward im Wein ertränkt
Und um ein Lied mein guter Name feil.

Ja, oft gelobt ich Reue, es ist wahr!
Ich schwor — doch ob beim Schwur ich nüchtern war?
Dann Kam der Frühling, Rosen in der Hand,’
Und riß in Stücke meine Reue gar!

Ob auch der Wein zum Ketzer mich getauft
Und meiner Ehre Kleid mir arg zerrauft.
Doch frag’ ich immer: Kann ein Winzer je
Kaufen so köstlich Gut, wie er verkauft?

O Liebe, hätten wir des Schicksals Macht,
Wir wollten diese Welt voll Schmerz und Nacht
Zertrümmern, eine neue draus zu bau’n,
So schön, wie wir sie sehnend uns erdacht.

Mein Herzensmond, in ewiger Schönheit Flor!
Des Himmels Mond, sieh, steigt aufs neu’ empor
So wird er oft ins Grün noch späh’n nach mir.
Wenn zu den Schatten ich mich längst verlor.

Dann, wenn du Holde wieder übers Gras
Hineilst, den Freunden füllend Glas um Glas,
Denk’ auch an mich, und einen leeren Becher
Stell’ umgedreht dorthin, wo ich sonst saß.

This entry was posted in . Bookmark the permalink.